Das letzte Stück Lebensweg

Wenn die Mutter anfängt, das Leben loszulassen, legt sich ein Schatten über uns Kinder. Hilflos können wir nur aushalten, was nicht auszuhalten ist. Was macht es uns so schwer, die Mutter auf dem letzten Stück Weg durch das Leben zu begleiten? Ist es Angst? Oder gar Egoismus?

Wie sie da sitzt, ganz klein und still mit wässrigen Augen. Zu schwach, um noch ein Glas zu halten. Trinken selbst aus der Schnabeltasse nurmehr mit Strohhalm möglich. Gewindelt, die einst stolze Frau, die stets alles allein konnte.

Wenn die Mutter anfängt, das Leben loszulassen, legt sich ein Schatten über uns Kinder. Hilflos können wir nur aushalten, was nicht auszuhalten ist. Was macht es uns so schwer, die Mutter auf dem letzten Stück Weg durch das Leben zu begleiten? Ist es Angst? Oder gar Egoismus?

Wie sie da sitzt, ganz klein und still mit wässrigen Augen. Zu schwach, um noch ein Glas zu halten. Trinken selbst aus der Schnabeltasse nurmehr mit Strohhalm möglich. Gewindelt, die einst stolze Frau, die stets alles allein konnte

Jede Bewegung verlangsamt. Sogar Sprechen ist eine Anstrengung geworden, die es kaum mehr lohnt zu unternehmen. Nicht einmal fernsehen will sie – gerade sie, die bis vor kurzem nicht ans Telefon ging, wenn der Presseclub lief. Und wir begreifen, sie hat den Gang der Welt still und leise aufgegeben.

Die Rollen sind eigenartig vertauscht. Wir behalten jede Sorge für uns, streicheln der Mutter die Hand und reißen uns zusammen. Die eigene Kindheit nun endgültig vorbei, auf immer verloren. Doch was ist das schon gegen den Schmerz, die Mutter gehen lassen zu müssen?

Was zerreißt uns dabei so sehr das Herz? Ist es die Angst davor, allein zurück zu bleiben? Der Verlust des Menschen, der uns auf die Welt gebracht, uns das Leben geschenkt hat? Diesen einen Menschen zu verlieren, zu dem wir immer zurück konnten?

Wir wollen nicht, dass sie leiden muss und wollen sie doch behalten. Wir schrecken zusammen, denn das Bild ist auch eine erste Ahnung, was uns selbst bevor steht in späteren Jahren. Trotzdem wenden wir den Blick nicht ab, bleiben an ihrer Seite, gewappnet mit einer Tapferkeit, von der wir nicht wissen, woher wir sie nehmen sollen.

Noch behauptet sich der Eintrag „Mama“ im Telefonbuch – auch wenn wir gar nicht mehr mit ihr telefonieren können. Ausgerechnet jetzt, da es ihr so schlecht geht, sie uns mehr braucht denn je, können wir sie nicht anrufen, nicht wenigstens täglich unsere Stimme als Trost spenden. Und auch nicht uns selbst beruhigen, dass wir sie kurz nur gehört haben, dass sie noch da ist.

Schon bekommen wir eine Ahnung davon, welches Loch ihr Tod reißen wird. Wie viel Schmerz und Einsamkeit uns bevorstehen. Dass der Rest unseres eigenen Lebens nicht reichen wird, um diese Wunde zu heilen. Dass wir nie aufhören werden, sie zu vermissen.

Hilflos sehen wir zu, wie dieses Band reißt, das uns mit der Vergangenheit verbindet. Faser für Faser trennt sich ab, lässt es in Fetzen zurück bis es nur noch am seidenen Faden hängt.

Vielleicht ist das der Moment, in dem wir die Tragik der eigenen Kinderlosigkeit zumindest ansatzweise beginnen zu begreifen. Wenn das Band in unsere Vergangenheit zerrissen ist und wir keines in die Zukunft gewoben haben, was soll uns dann halten?

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